Kreistagsfraktion

Kreisausschuss Soziales, Arbeit und Integration vom 7.3.22

Antrag zur Pflege von Bündnis 90/ Die Grünen

Rede von Martina Pellny, Antragstellerin und Mitglied des Fachausschusses
Sehr geehrter Herr Vorsitzender, liebe Verwaltung, liebe Kollegen,
Ja – warum habe ich diesen Antrag gestellt?
Als ich vor zweieinhalb Jahren ins Emsland zurückkehrte stand ich vor einer neuen Situation, nämlich pflegende Angehörige zu sein. Und ich suchte nach Unterstützung.
Ich habe lange für die WHO gearbeitet und kannte die guten pflegerischen Versorgungskonzepte aus den Niederlanden, aus Dänemark und Skandinavien, wo akademisch qualifizierte Pflegefachkräfte schon sehr lange in der Regelversorgung angekommen sind. Sie beraten – meist auf kommunaler Ebene – in Situationen, wo pflegende Angehörige oder noch fitte Senioren eine passgerechte Unterstützung für ihre individuellen Bedürfnisse suchen, Sie sind wertvolle „Lotsen“, „Kümmerer“, und arbeiten häufig in interdiziplinären Teams.
Mir ging es vor allem darum, meine älteren Angehörigen mit meiner Hilfe – aber auch mit den Hilfen des „Systems“ so lange wie möglich zu Hause zu halten, und vor allem akute Krankenhausaufenthalte zu vermeiden. Ich suchte professionelle Fachkräfte, die einen Blick für Prävention haben. Die darin trainiert sind, die Schnittstellen zwischen ärztlicher Versorgung, Medikamentengabe, Haushaltsunterstützung, ambulanter Pflege, stationären Leistungen individuell zu optimieren und dabei noch die pflegenden Angehörigen im Blick haben.
Gestoßen bin ich stattdessen auf völlig überlaufene Hausarztpraxen, auf ambulante Pflegedienste, die kaum Zeit hatten, eine Beratung für pflegende Angehörige anzubieten, da alle Kräfte in den Diensten waren – und gestoßen bin ich auf eine Reihe von Telefonnummern – vor allem der Pflegekassen – wo man stundenlang in der Warteschlange hängt. Auf die Telefonnummer des Pflegestützpunktes Emslandes bin ich dann nur durch Zufall aufmerksam geworden, aber das – sicher sehr nette Telefonat – hat mir tatsächlich, in meiner damaligen Situation, konkret nicht weitergeholfen. Ich wurde mit weiteren Telefonnummern versorgt. Ich fühlte mich ziemlich allein gelassen.
Und ich denke, dieses Gefühl der Hilflosigkeit, des Wissens, wir müssen hier Unterstützung haben – aber wo gibt es diese professionelle Hilfe der Beratung – kennen viele Angehörige. Und viele lassen es dann, weil sie keine Zeit für lange Telefonwarteschlangen haben, einfach laufen, und sagen sich, es wird schon gut gehen. Der Papa oder der Mutter geht es sicher bald besser.
Und dann kommt der Moment eines Akutereignisses – der Angehörige ist im Krankenhaus und es ist klar, nach Hause geht nicht mehr oder jedenfalls nicht ohne erhebliche Unterstützung. Und dann muss alles ganz schnell gehen.
Oft wird dann aus einem Notbehelf Routine, und oft kommt es dann zu regelmäßigen, wiederkehrenden Akutereignissen, die nicht nur extrem teuer für unser Gesundheitssystem sind, sondern für alle Beteiligten und besonders die Patienten, sehr belastend.
Wir wissen alle – und das wurde im letzten Pflegebericht des Landkreises Emsland vorgestellt – wir haben hier im Emsland eine demographische Entwicklung, die in der Zukunft zu noch höheren Zahlen in der zu pflegenden Bevölkerung führen wird. Wir wissen alle, dass in vielen Gemeinden schon jetzt Ärztemangel herrscht – und auch, dass Ärzte keine ausgebildeten Pflegefachkräfte sind. Denn dazu gehört weit mehr als nur der medizinische, medikamentöse Blick.
Und wir wissen, dass wir einen Mangel an qualifizierten Pflegekräften haben. Schon jetzt. Es ist fünf vor zwölf. Ich habe das in vielen Gesprächen mit den pflegenden Experten immer wieder gehört.
Wir müssen hier innovativ werden und vor allem – wir müssen Handeln. Der Koalitionsvertrag der Ampel sieht vor, dass sich hier in der Zukunft einiges ändern wird, und vor allem auch die akademisierte Pflege einen besseren Weg in die Regelversorgung findet. Mit den entsprechend angemessenen Löhnen. Wir brauchen eine echte Pflegewende. Aber auf Bundesebene kann dies noch einige Zeit dauern. Reformen im SGB sind immer ein Dschungel und ein Haifischbecken mit vielen Akteuren und Interessen.
Desshalb möchte ich appellieren: Wir können jetzt, auf Kreisebene, auch schon etwas tun. Wir können diese wichtigen, neuen Strukturen gut vorbereiten. Daher mein Antrag für eine Machbarkeitsstudie.
Denn wovon ich spreche: Ich spreche von hauptamtlichen, dezentralen, eng an die Kommunen angebundenen, professionellen Fachkräften, Kümmerer. Ich spreche nicht von Ehrenamtlichen. Bei mulitmorbiden, komplexen Krankheitsverläufen, die unsere Senioren vielfach haben, wo auch psychologische Faktoren eine Rolle spielen, brauchen wir Fachpersonal.
Fachpersonal, das dann auch Pflegetische organisieren kann, die die komplexen Strukturen des deutschen Pflege- und Gesundheitssystem verstehen, die alle Akteure vor Ort kennen, die Ärzte, die Krankenhäuser, die ambulanten Dienste, die selber aber auch aufsuchende Hausbesuche und Versorgung wahrnehmen dürfen und auf einem Blick erkennen, was nötig ist. Und die dann auch in sinnhafter Weise ehrenamtliche Strukturen bündeln und koordinieren können. Die die Wohnberatung vorbeischicken können, die die nachbarschaftliche Einkaufshilfe organisieren.
Und die die Kommune und die Menschen kennen. Die vor Ort sind. Persönlich, Ansprechbar. Keine Telefonnummer.
Nur so gewinnen wir Vertrauen, dass die älteren Menschen sich auf eine präventive Versorgung überhaupt einlassen.
Wo eine solche Fachperson am besten anzudocken ist, ist wahrscheinlich für jede Kommune unterschiedlich. Mal ist es vielleicht die Kommune selber, mal das Krankenhaus am Ort, mal ein Pflegedienst. Genau das sollte eine solche Machbarkeitsstudie untersuchen und dann konkrete Vorschläge – angepasst an die lokalen Verhältnisse – machen. Ebenso wie sie Finanzierungsmöglichkeiten aufzeigen sollte. Denn die finanzielle Last kann die Kommune alleine nicht schultern.
Wir müssen näher an die Betroffenen heran. Und wir können jetzt die Vorbereitungsarbeit dafür leisten.
Und zum Schluss möchte ich aufmerksam machen auf das, was wir hierfür an Elementen bereits haben: Die Hochschule Osnabrück/ Campus Lingen bildet seit 10 Jahren Fachkräfte im Bachelor Studiengang Pflege dual aus.
Die Absolventen des Studiengangs Pflege (B.Sc.) dual werden für die Interaktion mit Patienten und auch Angehörigen qualifiziert und verfügen über die Kompetenz zur Stabilisierung des häuslichen Settings. Sie werden ausgebildet als Kümmerin bzw. Kümmerer in der Familie oder auch auf kommunaler Ebene aktiv zu sein. Und zwar passgenau – so wie es die soziale und medizinische Situation der zu Pflegenden benötigt und auch mit Blick auf die Angehörigen.
Dieser Studiengang ist damals aus politischen Gründen von Hermann Bröring ins Emsland geholt worden. Eine gute Initiative der CDU.
Leider verpuffen die Effekte: Absolventen haben im Emsland bisher kaum Karrierechancen, sie finden keine ihrem Qualifizierungsgrad entsprechenden Arbeitsangebote und wandern vermehrt nach NRW oder andere Bundesländer ab. Oder sie sind frustriert, weil sie wieder in ihre alte Stelle im ambulanten Pflegedienst zurückkehren, ohne merkliche Gehaltserhöhungen. Warum ist uns im Emsland akademisierte Pflege nichts wert? Warum nutzen wir nicht das Potential der Absolventen, die sich hier ausbilden lassen und die in der Regel auch aus dem Emsland kommen und hier bleiben wollen?
Eine weitere, exzellente Initiative ist das Projekt REKO. REKO funktioniert in der Grafschaft Bentheim wie ich es mir wünschen würde: eingebettet in kommunale Strukturen, nahe an der Bevölkerung. Im Emsland hingegen sind die case manager angebunden an das Entlassungsmanagement der Krankenhäuser in Lingen, Thuine, Sögel und Meppen. Dh. sie werden tätig wenn das Akutereignis Krankenhausaufthalt schon eingetreten ist. Präventive Hilfe über den Pflegestützpunkt in Meppen ist zwar möglich, aber kaum bekannt. REKO kümmert sich zudem um alle Altersgruppen. Das ist zwar gut, aber im großen Flächenland Emsland brauchen wir gerade für unsere Senioren mehr präventive Hilfe.
Die Durchführung einer Machbarkeitsstudie könnte wichtige Synergieeffekte mit REKO untersuchen und entsprechende Vorschläge unterbreiten.
Ich denke, Sie haben jetzt alle verstanden, worauf es mir ankommt – und woher ich komme. Ich finde, dieses Thema ist zu Schade für parteipolitische Profilierung.
Ich habe daher vor diesem Antrag mit der Verwaltung gesprochen, wie mit vielen Akteuren. Die Verwaltung hat mir geraten, meinen Antrag umzuformulieren und anzupassen, was ich auch getan habe.
Dennoch ist der Beschlussvorschlag meines Antrages nochmals heruntergefahren worden. Mein Antrag war, eine Machbarkeitsstudie durchzuführen, die nicht die Welt kostet. Geschätzt weit weniger als der Zuschuss zum Gemeinschaftshaus in der 10.000 Einwohnergemeinde Bernte. Stattdessen wird nun vorgeschlagen, dass die Verwaltung nach den Sommerferien berichtet.
Vor dem Hintergrund aller Expertenmeinungen, der internationalen Erfahrungen und des Pflegeberichtes dieses selbigen Ausschusses aus dem vergangen Jahr finde ich den Beschlussvorschlag ungenügend. Pflegekräfte wandern weiter ab, wir zeigen keine Perspektiven auf für die Pflegekräfte und für unsere Bevölkerung. Das sind nicht die richtigen Prioritäten.
Ich kann meinen eigenen Antrag in der Sache nicht ablehnen, aber ich es ist einfach zu wenig, es ist zu zauderlich, es ist wenig weitsichtig. Ich bleibe weiter dran am Thema.

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